Lasst mich ein paar Gedanken zu einem schier unglaublichen Vorgang verlieren, der seit ein paar Wochen überwiegend im Internet die Runde macht und seither kein Ende mehr zu nehmen scheint. Was mich bewegt hat, dazu ein paar Worte zu verlieren? Der Vorgang - so unglaublich er scheint - macht mich als Autor persönlich betroffen. Und er bietet Gelegenheit, sich Gedanken über den Umgang mit Kritiken und Lesern zu machen.
Ein Autor schreibt ein Buch. Sein Name ist Asht. John Asht. Künstlername oder Pseudonym. Ich weiß es nicht. Das Buch trägt den Namen "Twin Pryx".
Das Buch wurde über einen Kleinverlag veröffentlicht. Es ist nicht das erste Buch, das der Autor veröffentlicht hat. Es hat über neunhundert Seiten.
Das Buch gerät in die Hände einer Leserin, die auf einem Blog eine Rezension dazu schreibt. Sie hat das Buch zwar angelesen, aber offensichtlich nicht zu Ende. Das gibt sie auch offen zu. Was sie gelesen hat, reichte ihr, eine schlechte Kritik über das Gelesene in ihren Blog zu schreiben. So weit so gut. Nichts Besonderes. Alltag im Leben eines Autors.
Ein ganz gewöhnlicher Vorgang, mit dem wir Autoren nach einer Veröffentlichung umzugehen lernen müssen. Beinahe jeder Autor dürfte das aus eigener Erfahrung kennen. Natürlich sind solche negativen Kritiken nicht erfreulich (Anmerkung am Rande: aber immer noch besser als gar keine), insbesondere jene, bei denen der Rezensent ein Buch nicht zu Ende gelesen hat und sich somit nicht intensiv mit der Geschichte auseinandergesetzt haben kann.
Aber selbst aus diesen können wir noch wertvolle Hinweise für unsere Arbeit mitnehmen.
Der Einstieg war vielleicht zu schwer. Die Sätze zu verschachtelt. Nicht konsequent oder überzeugend genug. Aufbau, Wortwahl, Namen zu kompliziert, Welt- und Charakterbeschreibung und Stil haben nicht gefallen, der Leser kam nicht in die Geschichte hinein oder was auch immer.
Man mag sich als Autor nun ärgern, weil sehr viel Arbeit, Schweiß und Herzblut in das Buch geflossen sind und selbstverständlich große Hoffnungen auf dem gerade erst veröffentlichten Werk ruhen. Und jetzt kommt der kurze Verriss in knappen Worten. Das ist klar und verständlich. Das darf man als Autor auch zugeben. Das mag frustrierend sein, vielleicht sogar verletztend wegen fehlender Wertschätzung und kann einen Autor sicher auch emotional berühren. Das alles ist keine Frage.
Dennoch... es bringt nichts, rein gar nichts, sich lange darüber aufzuregen oder gar noch hineinzusteigern. Im Gegenteil. Annehmen, Schwamm drüber, daraus lernen und einfach mit der Arbeit weitermachen.
Es ist nicht verboten, ein Buch nicht zu Ende zu lesen und trotzdem eine Meinung dazu zu äußern. Oft entscheidet sich Gefallen oder Nichtgefallen eben schon auf den ersten zwanzig bis dreißig Seiten eines Buches. Das wissen wir aus eigener Erfahrung. Auch Autoren lesen Bücher oder sollten das zumindest hin und wieder in Erwägung ziehen. Werden die Leser auf der Reise nicht mitgenommen, kann es eben schnell vorbei sein mit der Freude am Buch.
Aber nun beginnt erst das eigentliche Drama. Beinahe schon eine Tragödie von beängstigendem Ausmaß, die nachdenklich stimmt und Bedauern auslöst.
Der Autor begeht einen schweren Fehler. Wahrscheinlich den schlimmsten Fehler, den er als Autor überhaupt begehen kann. Er lässt sich auf die Kritik ein, ärgert sich, fühlt sich getroffen, obwohl diese im Grunde kaum der Rede wert ist und sich wahrscheinlich kaum jemand dafür interessiert hätte.
Er wettert gegen Kritik und Kritikerin, tobt, beleidigt und schlägt wie wild geworden um sich. Ein angeschlagener Boxer. Alles passiert verbal im Internet versteht sich. Im virtuellen Raum ohne echte Gegner, die sich gegenüberstehen und sich in die Augen sehen.
Der Autor spricht von Kriminalität und Geschäftsschädigung. Er droht - mit Unterstützung seines Verlages - mit Klagen, Strafanzeigen und dem nicht einschlägigen UWG und tritt damit eine gewaltige Lawine los. Kalkuliert oder nicht, das spielt keine Rolle mehr. Die Lawine ist außer Kontrolle geraten.
Proteste, Stellungnahmen, Solidaritätserklärungen mit der Kritikerin und haufenweise Negativkritiken ähnlicher Gestalt sind die unvermeidliche Folge. Frei nach dem Motto "Die Geister, die ich rief..."
Der Name oder das Pseudonym ist auf Dauer verbrannt. Und das Schlimme daran ist, Autor und Verlag sind auch noch selbst schuld daran. Haben sie es denn nicht gemerkt. Am Markt ist der Autorenname nicht mehr brauchbar und das durch einen einzigen, aber fatalen Fehler.
Beängstigend, wie schnell das im Anschluss gehen kann und wie gnadenlos das Drama voranschreitet. Wie ein Lauffeuer breitet es sich aus und ist nicht mehr aufzuhalten.
Es tut schon weh, wenn man als Kollege dabei zusehen muss, wie der Autor weiterhin verzweifelt an seiner "harten" Position festhält und sich sein eigenes Grab tiefer und tiefer schaufelt, seine Fehler einfach nicht sehen will und immer noch eine Schippe drauflegt.
Er schürt das Feuer, kippt munter Öl hinein, erweitert den Kreis seiner "Gegner" auf potentielle Leser, um deren Gunst er doch eigentlich bemüht sein sollte. Sie sind es doch, die er als Autor gewinnen muss. Sie sind es, die seine Bücher kaufen sollen. Sieht er das denn nicht?
Stattdessen äußert er sich dahingehend, sie alle bewusst in eine Falle gelockt zu haben und droht damit, sie alle mit dem Staatsanwalt und dem strafrechtlichen Schwert zu kriegen.
Man will ihm warnend zurufen... "um Himmels Willen... lass es sein, du reitest dich immer weiter in den Abgrund. Die Schlinge zieht sich zu. Langsam, aber unaufhaltsam und fest, bis die Luft zum Atmen schwindet. Du kannst nicht gewinnen".
Aber er hört nicht, er versteht nicht und lernt nicht. Er tut mir aufrichtig leid.
Ich frage mich, welcher Teufel diesen Autor geritten hat, sich auf solch gefährliches und dünnes Glatteis zu begeben. Mit Mafia oder organisierter Kriminalität hat das alles nichts zu tun. Das ist ein krasse Fehleinschätzung der Situation. Den Lesern geht es meiner Meinung nach um mehr. Es geht um ihre Meinungsfreiheit und sie protestieren gegen eine Bedrohung derselben, die sie als unangemessen und ungerecht empfinden. Sie wehren sich gegen Selbstgefälligkeit und den Blick eines Autoren von oben herab. Nur deshalb erklären sie sich solidarisch, glaube ich.
Was erhofft sich der Autor von seinen Angriffen? Publicitiy? Die wird nur sehr kurz andauern und sich in der Zukunft schlecht auf seinen Ruf auswirken. Gerechtigkeit? Welcher Art? Die Welt ist nicht gerecht, aber sie folgt ihren Gesetzmäßigkeiten. Oder hat er vielleicht bereits erkannt, dass es längst zu spät ist und sein persönlicher Feldzug gegen Kritiker und Leser schon mit seiner ersten Stellungnahme längst verloren war. Geht es hier nur noch um das "Gesicht wahren" und nicht einsehen oder nachgeben wollen?
Es ist doch glaube ich in Ordnung, sich gegen unberechtigte Kritiken zu wehren und auch seine persönliche Meinung als Autor zu äußern, so lange sich die Diskussion auf einer sachlichen und konstruktiven Ebene bewegt. Ich kann gut verstehen, welche Emotionen an einem eigenen Werk hängen. Persönliche Angriffe müssen dabei aber immer außen vor bleiben und es muss einen Weg geben, sich für beide Seiten gesichtswahrend zurückziehen zu können.
Ich denke auch, dass weder Leser noch Kritiker einem Autor übel nehmen, wenn er fest hinter seinem Buch steht, daran glaubt und sich dafür einsetzt, sich der Kritik offen und ehrlich stellt und sich auch damit streitig, vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle emotional auseinandersetzt und seinen Standpunkt fair vertritt. Das wäre bestimmt der richtige Weg gewesen. Davon bin ich überzeugt.
Was empfiehlt sich in einer solch zerfahrenen Situation für einen Autor wie John Asht? Wie lässt sich der Schaden wiedergutmachen?
Zunächst einmal nur über die Selbsterkenntnis, einen Fehler begangen zu haben. Danach vielleicht über das offene und ehrliche Eingeständnis überreagiert zu haben. Darauf folgend wäre vielleicht eine ehrlich gemeinte Entschuldigung an Kritiker und Leser angebracht. Drohungen müssen zurückgenommen werden. Und dann... ist Ruhe und Gelassenheit angezeigt, sich zurücknehmen, nachdenken und für eine längere Zeit einfach nur schweigen, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen ist.
Die angestauten Emotionen und den Frust nehmen und in kreative Arbeit umsetzen. Das ist eine Lösung. Die Wut aus dem Bauch schreiben und aus den Kritiken lernen. Das ist der einzige Rat, den ich in dieser Situation für den angeschlagenen und an die Wand gedrückten Kollegen parat hätte. Es wäre ein Fehler jetzt weiterzumachen und die Sache mit Klagen auf die Spitze zu treiben.
Wenn all dies passieren sollte, könnten die Leser vielleicht verzeihen. Vielleicht... ich weiß es nicht. Hoffen wir es... für die Leser, die fairen Kritiker, den Autor und den Verlag.